J. Schlehe u.a. (Hrsg.): Religion, Tradition and the Popular

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Titel
Religion, Tradition and the Popular. Transcultural Views from Asia and Europe


Autor(en)
Schlehe, Judith; Sandkühler, Evamaria
Reihe
Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen 12
Erschienen
Bielefeld 2014: Transcript – Verlag für Kommunikation, Kultur und soziale Praxis
Anzahl Seiten
285 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Karénina Kollmar-Paulenz

Die Meistererzählung von der fortschreitenden Säkularisierung der modernen Welt ist in den letzten Jahrzehnten grundlegend in Frage gestellt worden. Während die Hinwendung zu religiösen Deutungswelten zumeist unter dem Stichwort einer «Rückkehr der Religionen» (Riesebrodt) in den öffentlichen Raum verhandelt wird, dabei stillschweigend implizierend, dass dieser Rückkehr ihr Verschwinden aus eben diesem vorausging, setzt der vorliegende Sammelband an anderer Stelle an. Ausgehend von der Beobachtung, dass Modernisierung nicht zwangsläufig zu einer Privatisierung von Religion führt, lenken die Autorinnen und Autoren ihr Augenmerk auf zwei bisher eher vernachlässigte Aspekte der Debatte um Religion und Moderne, das «Populäre» und die Konstruktion von «Tradition». Alle Beiträge des Bandes eint das Bemühen, jenseits dichotomischer Kategorisierungen in Weltreligionen versus lokale Religionen oder gar alternative Religionen die verschiedenen Religionskulturen in ihren vielfältigen sozialen, kulturellen, politischen und auch ökonomischen Bezügen in den Blick zu nehmen. «Religion» wird dabei in den meisten Beiträgen aus einer Akteurs-Perspektive definiert. Eine solche relationale Perspektive impliziert nicht nur, dass «Religion» in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Bedeutungen haben kann, sondern auch, dass die Akteure sich kontextuell auf durchaus unterschiedliche religiöse Deutungen beziehen können, also multiple religiöse Identitäten leben können. Darüber hinaus führt diese Perspektive auch zu einer Durchlässigkeit der Grenzen zwischen religiös und nicht-religiös. Die Herausgeberinnen des Bandes sind sich bewusst, dass eine relationale Konzeptualisierung von «Religion» in sich die Gefahr der analytischen Unschärfe und Vagheit birgt. Dem versuchen sie zu begegnen, indem sie das Konzept des «Populären» in lokale Kontexte und Bedeutungen zurückbinden.

Der in drei Teile gegliederte Band enthält insgesamt elf Beiträge. Vorangestellt ist ihnen eine Einleitung der Herausgeberinnen, in der unter anderem die drei Schlüsselbegriffe «religion», «tradition» and «the popular» problematisiert, aber auch produktiv bestimmt werden. Im ersten, theoretischen Teil werden unterschiedliche Konzepte von «populären» und «popularisierten» Religionen vorgestellt. Im ersten Beitrag dieses Teils, «The Communicative Construction of Transcendence: a New Approach to Popular Religion», erläutert der Religionssoziologe Hubert Knoblauch sein Konzept der «populären» Religion, das von dem Konzept der grossen Transzendenzen (Schütz; Luckmann) ausgeht, diese jedoch historisiert. Während Knoblauch zur Konfiguration seines Konzepts auf allgemeine religionshistorische («Achsenzeit») und religionssoziologische («profan/heilig») Konstrukte zurückgreift, die nur selten in mikrohistorischen Analysen bestätigt werden, entwickelt Anthony Reid in «Religion in Early Modern Southeast Asia: Synthesising Global and Local» ein Konzept der «popular religion» auf der Basis der Geschichte von drei Religionen Südostasiens, Islam, Theravada Buddhismus und Christentum. Er verfolgt die Entwicklung vom 16. Jahrhundert, einer Zeit der «cosmopolis» (Sheldon Pollock), bis zum 18. Jahrhundert, der «vernacularisation», und charakterisiert «popular religion» in Südostasien als Produkt beider Prozesse. Peter Bräunlein wiederum nimmt in seinem Beitrag «Who defines ‹the Popular›? Postcolonial Discourses on National Identity and Popular Christianity in the Philippines» wissenschaftliche Diskurse über Filipino Tradition, Nationalidentität und populäres Christentum in den Blick und zeigt auf, dass die Diskurse über «popular religion» und «tradition» zum Nationbuilding-Prozess auf den Philippinen gehören.

Der zweite Teil des Bandes ist Asien gewidmet. Drei Beiträge fokussieren auf Indonesien. Ariel Heryanto untersucht in «The Cinematic Contest of Popular Post-Islamism» am Beispiel der Rezeption von Kinofilmen rezente interne Spannungen in indonesischen muslimischen Gemeinschaften, die in einem urbanen muslimischen Jugendmilieu im Kontext neu entstehender Formen religiöser Frömmigkeitspraktiken situiert sind. Mit Hilfe des «PostIslamism»-Konzepts gelingt es ihm überzeugend, die analytische Dichotomie von «secular-West versus radical-Islamism» zu überwinden und aufzuzeigen, dass eine Untersuchung der Populärkultur «beyond the details of a religion’s sacred books» (153) dazu beiträgt, einen anderen, neuen Blick auf muslimische Kulturen zu werfen, in dem «being modern and being Muslim» sich nicht gegenseitig ausschliessen. Der Beitrag von Evamaria Sandkühler, «Popularisation of Religious Traditions in Indonesia – Historical Communication of a Chinese Indonesian Place of Worship», konzentriert sich auf die chinesische Minderheit in Indonesien. Anhand einer Mikrostudie des Tempels Sam Poo Kong in Semarang auf Zentraljava beschreibt die Autorin die Revitalisierung von Konzepten wie «Kultur», «Tradition» und «Religion» in einer chinesisch-indonesischen Gemeinschaft. Obwohl diese Konzepte gewöhnlich territorial konfiguriert sind, werden sie in dem Immigranten-Kontext fruchtbar gemacht und in einem touristischen Setting popularisiert. Judith Schlehe gibt in «Translating Traditions and Transcendence: Popularised Religiosity and the Paranormal Practitioner’s Position in Indonesia» auf der Basis einer 2010 und 2012 durchgeführten Feldforschung eine Beschreibung der indonesischen Paranormalen, ihrer Praktiken und Selbstpositionierungen im religiösen Feld.

Der vierte Aufsatz dieses Teils behandelt die (virtuelle) religiöse Identität chinesischer Internet-Nutzer eines Mikroblogging-Dienstes. Kristin Shi-Kupfer konzentriert sich in «Concepts of (Protestant) Christian Identity in Chinese Microblogs» auf die christliche (= protestantische) Präsenz im Internet und erörtert die Konstruktion virtueller christlich-protestantischer Identitäten, die auf popularisierte Formen des protestantischen Christentums zurückgreifen.

Der dritte Teil des Bandes versammelt vier Europabezogene Beiträge. Ehler Voss fragt in «A Sprout of Doubt. The Debate on the Medium’s Agency in Mediumism, Media Studies, and Anthropology», nach der «Agency» von Medien. Diese verfolgt er in verschiedenen Settings, von spiritistischen Kreisen des 19. Jahrhunderts über zeitgenössische Praktiken des medialen Heilens bis zu den Media Studies und dem Anthropologen als Medium. In ihrem Beitrag «Tomorrow, Christ on the Cross Will be Selling Socks. References to Christianity in Contemporary Advertising Campaigns» macht Anna-Katharina Höpflinger in ihrer Analyse der religiösen Inhalte von Werbung auf einen oft vernachlässigten Aspekt populärer Religion aufmerksam, die vielfältigen Verbindungen zwischen Religion und Wirtschaft. Die beiden letzten Beiträge widmen sich den neo-paganen Religionen im Norden Europas. Stefanie von Schnurbein analysiert in ihrem Beitrag «Germanic Neo-Paganism – A Nordic Art-Religion?» neo-pagane nordische Religionen im Spannungsfeld von Pop- und Gegenkultur und nationalistischen und rassistischen Strömungen. René Gründer beschreibt in «Neopagan Traditions in the 21st Century» die Dynamiken zeitgenössischer Konstruktionen alternativer, polytheistischer und vorchristlicher religiöser Traditionen in Europa. Er versteht diese Traditionen nicht als ein antimodernistisches Projekt, sondern als eine Antwort auf die Globalisierung.
Dem vorliegenden Band hätte ein sorgfältigeres englisches Sprachlektorat, das die sprachlichen Fehler im Englischen korrigiert, gut getan. Davon abgesehen, ist den Herausgeberinnen ein facettenreicher Überblick über ein hochaktuelles Thema gelungen, der für Historikerinnen, Sozialanthropologinnen und Religionswissenschaftlerinnen gleichermassen interessant ist.

Zitierweise:
Karénina Kollmar-Paulenz: Rezension zu: Judith Schlehe / Evamaria Sandkühler (Ed.), Religion, Tradition and the Popular. Transcultural Views from Asia and Europe (= Historische Lebenswelten in populären Wissenskulturen 12), Bielefeld, transcript-Verlag für Kommunikation, Kultur und soziale Praxis, 2014. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 109, 2015, S. 496-498.